Abfertigungshalle

Damit die gymnasiale Schulzeit effektiv verkürzt werden kann und die Schüler endlich gebildeter werden, muss man sich was einfallen lassen. Warum als Vorbild nicht den Flughafen nehmen? Da geht dank modernster Technik alles ganz schnell. Und (Über-)Flieger gibt es auch noch.

Vor einiger Zeit wurde bereits beschlossen, die Anzahl der Produktionsjahre zu verringern, um eine schnellere und effektivere Abfertigung zu erzielen. Kleine Qualitäts-Einbußen müssen dabei verkraftet werden. Ich spreche von der Schule und der Umsetzung von G9 auf G8*. Doch das ist noch viel zu langsam! Um Abhilfe zu schaffen, werden neue Geschütze aufgefahren, so dass sich die Schüler wie am Flughafen fühlen. Da geht auch immer alles ganz schnell...

In Gedanken versunken bin ich auf meinem Schulweg: Heute habe ich überwiegend schöne Fächer. Zehn Minuten vor Schulbeginn betrete ich mit aller Ruhe der Welt meine Schule...

Mich trifft blankes Entsetzen: "07:55 MA-LK2 13 Schönfelder A203 09:30 Cancelled/Fällt aus!" lese ich von der großen Anzeigentafel im Aulafoyer, der sogenannten Eingangshalle. Die letzten Worte auch noch blinkend. Panik! "Was mache ich jetzt bloß? Warum bin ich nicht viel früher gekommen? Jetzt geht alles schief..." Um mich herum rennende Menschenmassen. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich weiß nur, ich muss irgendwo hin. Aber wohin?

Schon beginnen die Lämpchen vor den oberen Zeilen zu blinken. Also beginnt genau jetzt der Unterricht!

Ding-Dong: "Sicherheitshinweis: Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt!" Rauschen im Mikrofon, dann: "Achtung: Die Teilnehmer des Kurses EN-GK5 treffen sich in Terminal B, Gate B105! Ich wiederhole: [...]". In entsprechender Zeile auf der Tafel blinkt die neue "Destination" auf: "07:55 EN-GK5 12 Hansen B105 09:30 ###".

Ich habe mich mittlerweile etwas von der Panik erholt: Wenn ich alles korrekt erfasst habe, fällt mein Mathematik-Unterricht wohl aus. Ich habe nun also Zeit bis etwa Viertel vor Zehn. Ich überfliege noch schnell zur Sicherheit die folgenden Zeilen bis zu meinem nächsten Unterricht: "09:50 SW-GK2 13 Lieblich B016 11:25". Ich verlasse das Schulgebäude und beschließe, in die nahegelegene Innenstadt zu gehen, um dort meine Zeit zu vertreiben.

Ich stehe vor B016 und es rührt sich nichts. Ich eile in die Eingangshalle: "09:50 SW-GK2 13 Lieblich B016 11:25 20 min delayed/20 Min. verspätet". Na toll. Ich trotte wieder zurück zu B016 und warte dort. Inzwischen sind auch andere eingetroffen.

Ding-Dong: "Aufgepasst! Der neue Sextaner-Lolly ist da: Jetzt nur für 0,39€ am Snack-Point in Terminal A!"

Nach der Stunde ging es wieder mit den Schüler-Massen in die Eingangshalle. Man ist zwar abhängig von der Anzeigetafel geworden, aber man sagte uns, diese sei sehr praktisch und schaffe viel mehr Klarheit als herkömmliche Vertretungspläne.

Es folgten vier lange Freistunden, in denen sich nichts tat...

"15:10 IF-GK1 13 Weiler C118 16:45 EVA". Letzteres wieder am Blinken. EVA bedeutet "Eigenverantwortliches Arbeiten". So etwas passiert, wenn die Lehrer wieder mehrfach verbucht wurden. Diese Taktik kommt aus dem Fluggeschäft: Es kann ja sein, dass ein Kurs mal doch nicht kommt. Und damit der Lehrer nicht nichts zu tun hat, bekommt er eben zwei Kurse. Zur Not bekommt ein Kurs dann EVA.

Ich gehe zum nächsten Terminal und ziehe meine SID-Karte durch, um mir den EVA-Auftrag ausdrucken zu lassen. Die Aufgabe lautet: "Wie programmiert man einen elektronischen Vertretungsplan, der zentral für ganz NRW verwaltet wird und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schulen eingeht? Diskutieren Sie den Sinn oder Unsinn eines solchen Systems!".

* Verkürzung der gymnasialen Schulzeit um ein Jahr

Verfasst: Freitag, 22.01.2010